
Veröffentlicht am: 26. August 2019
Autorin: Prof. Dr. med. Petra Stute, Stv. Chefärztin und Leitende Ärztin; Abt. für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin; Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital Bern
Einleitung
Die Hypothese ist, dass Bioidentische Hormone (BIH) besonders gut wirksam und verträglich seien, da sie identisch mit den vom Körper produzierten Hormonen sind. Ihre Anwendung sei mit keinerlei Risiken verbunden. Wahrheit oder nur gutes Marketing?
Definition Bioidentische Hormone
Unter BIH versteht man aus Pflanzen hergestellte Hormone, die chemisch ähnlich oder strukturell identisch mit den vom menschlichen Körper produzierten Hormonen sind. Die Betonung liegt hierbei auf „strukturell identisch“ und nicht auf der „pflanzlichen“ Quelle, denn viele nicht-bioidentische Hormone (z.B. Ethinylestradiol, Medroxyprogesteronazetat, Methyltestosteron) werden ebenso aus Pflanzen (Yams, Soja) gewonnen [1]. In die Kategorie der BIH fallen sowohl behördlich (FDA, EMA, Swissmedic etc.) regulierte hormonelle Arzneimittel als auch Hormonpräparate, die basierend auf einer vom Arzt ausgestellten individuellen Rezeptur (engl. compounded preparation) von entsprechenden Apotheken (engl. compounding pharmacy) hergestellt werden. Zu den behördlich regulierten BIH im Kontext der Hormonersatztherapie zählen in der Schweiz z.B. mikronisiertes Progesteron (P), 17beta-Östradiol (E2) und Östriol (E3). Auch BIH müssen synthetisiert werden, d.h. die Wirkung ist nicht zu erzielen, indem man beispielsweise die Pflanzen direkt zu sich nimmt.
Historie
Eine Folge der Women’s Health Initiative war, dass die in der Studie eingesetzten, nicht-bioidentischen Hormone für „schuldig“ an den Negativergebnissen erklärt wurden. Als bessere Alternative wurden BIH propagiert, von denen es zu diesem Zeitpunkt – anders als in Europa – in den USA wenige von der FDA zugelassene Präparate gab. Günstig zeigte sich zudem die Gesetzeslage: Mit dem Argument, dass Hormone auf natürlicher Basis in die Kategorie der Pflanzen/Kräuter (engl. herbs) fallen, werden über die Haut zugeführte Hormone gemäss des Dietary Supplement Health and Education Act (1994) den Nahrungsergänzungspräparaten (engl. supplements) zugeordnet und sind somit von den Auflagen der FDA (Nachweis von Wirksamkeit und Sicherheit) befreit. Diese Befreiung vom Zuständigkeitsbereich der FDA beinhaltet ausserdem, dass z.B. im Beipackzettel keine Kontraindikationen und oder Warnungen („black box warning“) genannt werden müssen. Das ist einer der Gründe für die Propagierung der transdermalen Applikation von BIH. Die Problematik der BIH Therapie liegt also nicht in ihren Inhaltsstoffen, sondern in der individuellen Hormonrezeptur. Da die Hormongemische individuell in Apotheken hergestellt werden, liegen keine Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit vor. Die FDA und die Endocrine Society ordnen daher den Begriff „Bioidentische Hormontherapie“ dem Marketing zu und nicht einer auf wissenschaftlicher Evidenz basierten Therapieform [2].
Bioidentische Hormone – Wirksamkeit und Endometriumsicherheit
Ohne Zweifel ist die Gabe von bioidentischen Östrogenen effektiv in der Therapie von Wechseljahresbeschwerden. Alle von der Swissmedic zugelassenen Östrogenpräparate enthalten bioidentische Östrogene. Kritisch ist die Frage der Endometriumsicherheit bei der Kombination von Östrogen mit P.
Bei Frauen mit intaktem Uterus ist im Rahmen einer systemischen HRT mit Östrogenen die Gabe eines Gestagens zur Endometriumprotektion indiziert [3].
In diesem Kontext ist P in der Schweiz wie folgt zugelassen: Bei Kombination mit einem Östrogen beträgt die Tagesdosis im Allgemeinen 1 Kapsel Utrogestanâ 200 mg vor dem Schlafengehen während 12 bis 14 Tagen des Zyklus. Es stellt sich die Frage, inwiefern vaginal oder transdermal verabreichtes P ebenfalls zur Endometriumprotektion genügt. Während es für die vaginale P Applikation einige Studien zur Endometriumsicherheit i.R. einer systemischen Östrogentherapie gibt (off label use!), konnte bisher für die transdermale P Gabe kein (!) Endometriumschutz gezeigt werden. Eine Kombination von Östrogen mit transdermalem P ist also bei Frauen mit Uterus obsolet! [4]
Fazit für die Praxis
Die Studien- und Zulassungssituation für systemisch wirksame BIH lässt sich wie folgt zusammenfassen (Tabelle 1):
BIH | Wirksamkeitsnachweis in RCT | Swissmedic Zulassung |
Estradiol (oral, transdermal) | ✔ | ✔ |
Estriol (oral) | keine RCT ( ✔ ) | ✔ |
Progesteron (oral) | nur 1 RCT ( ✔ ) | – |
Progesteron (transdermal) | – | – |
BIH | Sicherheitsnachweis in RCT | Swissmedic Zulassung |
Progesteron (oral) | ✔ | ✔ |
Progesteron (vaginal) | ( ✔ ) | – |
Progesteron (transdermal) | – | – |
Tabelle 1: Wirksamkeit, Sicherheit und Zulassungssituation von BIH. Abkürzungen: BIH = Bioidentische Hormone, RCT = randomisiert-kontrollierte Studie,
Basierend auf Anamnese und Symptomen sollten mögliche Therapieoptionen bei menopausalen Beschwerden dargelegt werden (Alternativ- und Komplementärmedizin, nicht-hormonale Pharmakotherapie, verschiedene Hormonersatztherapien). Wenn eine Frau die Verwendung von systemisch wirksamen Bioidentischen Hormonen wünscht, dann sollte primär ein von der Swissmedic zugelassenes Präparat gewählt werden (orales mikronisiertes Progesteron, orales/transdermales 17beta-Östradiol, orales Östriol). Wenn eine Unverträglichkeit gegenüber zugelassenen Präparaten besteht oder nicht alle Symptome durch von der Swissmedic zugelassene Präparate behandelt werden können, dann kann eine individuelle Rezeptur weiterhelfen. Es muss jedoch dann darauf hingewiesen werden, dass keine Sicherheitsdaten für das individuelle Produkt vorliegen.
Referenzen
[1] M. Cirigliano, Bioidentical hormone therapy: a review of the evidence, J Womens Health (Larchmt) 16(5) (2007) 600-31.
[2] M.S. Rosenthal, The Wiley Protocol: an analysis of ethical issues, Menopause 15(5) (2008) 1014-22.
[3] T.J. de Villiers, A. Pines, N. Panay, M. Gambacciani, D.F. Archer, R.J. Baber, S.R. Davis, A.A. Gompel, V.W. Henderson, R. Langer, R.A. Lobo, G. Plu-Bureau, D.W. Sturdee, S. International Menopause, Updated 2013 International Menopause Society recommendations on menopausal hormone therapy and preventive strategies for midlife health, Climacteric 16(3) (2013) 316-37.
[4] P. Stute, J. Neulen, L. Wildt, The impact of micronized progesterone on the endometrium: a systematic review, Climacteric 19(4) (2016) 316-328.