Wann ist die Krise vorbei, kommt sie wieder, Vergleich mit Influenza, wen trifft‘s – und unser Beitrag.

Veröffentlicht am: 20. April 2020
Autor: Dr. med. dent. Jens Tartsch, Kilchberg ZH
Ihr Kommentar: Beiträge am Schluss des Blog erwünscht
Lock-down, Shut-down, Exit-Strategie, Smart-Restart … dies sind sicher alles Begriffe, über welche wir uns in der Vergangenheit kaum Gedanken gemacht haben bzw. welche es konkret zum Teil noch gar nicht gab – insbesondere im Zusammenhang mit einer Krisensituation.
Was soll man – oder ich als Zahnarzt – also dazu noch sagen, was in den Medien nicht schon von der einen oder anderen Seite veröffentlicht wurde? Gerade in den Medien ist ja derzeit die gesamte Bandbreite der Meinungen zu finden – von „Panikmache“ und „Weltuntergang“ bis hin zu „so ist halt die Natur: nur die Starken überleben“.
Nun kann man seine persönliche Meinung kundtun oder das Wort an kompetente Fachleute übergeben. Ersteres wird hier im Anschluss folgen, für das Zweite möchte ich zunächst das Wort an den Herzchirurgen Prof. Dr. Vogt übergeben, welcher mit seinem Beitrag in der Mittelländischen weltweit für Aufsehen sorgte und die aktuelle Situation objektiv und nüchtern, aber sehr konkret wiedergibt. Auch wenn der Artikel etwas länger sein mag, man sollte ihn unbedingt zu Ende lesen, er gibt viel Input für weitere Diskussionen: https://bit.ly/ssaampblog200420
Ich denke, nun wird der eine oder andere die Situation doch mit etwas anderen Augen sehen, und auch ich möchte nun vor dem Hintergrund der gewonnenen Erkenntnisse aus dem Artikel auf meine persönliche Meinung als Zahnarzt zurückkommen. Mitgenommen habe ich Folgendes:
- Die Krise ist erst vorbei, wenn es ein Medikament bzw. einen Impfstoff gibt.
- Die Situation kann bei zu starker Lockerung der Massnahmen jederzeit wieder eskalieren.
- Ein simpler Vergleich mit Influenza ist nicht zulässig, die Intensivstationen sprechen eine andere Sprache.
- Panik ist nicht angebracht, aber es kann jeden treffen – insbesondere dessen Eltern.
- Auch heute weiss noch niemand, wann das Leben wieder normal sein wird – wir alle müssen aber mit Disziplin dazu beitragen, dass es dies wieder so schnell wie möglich wird.
Natürlich muss die Wirtschaft weitergehen, auch unsere Praxen müssen wieder normal arbeiten können … aber wir bewegen uns damit auf Messers Schneide, und dies muss uns allen zumindest bewusst sein. Trotz vom Bundesrat beschlossener stufenweiser Lockerung heisst dies daher auf noch nicht absehbare Zeit für mich vor allem auch im privaten Bereich: alles vermeiden, was nicht zwingend notwendig ist – das Virus hält sich nicht an Gesetze! Denn wir wissen: Nur mit einer Reproduktionszahl von < 1 kann die Pandemie beendet werden. Das heisst konkret: 1 Infizierter steckt weniger als 1 Gesunden an. Aktuelle Berechnungen bspw. für Deutschland zeigen: Bereits bei einer Reproduktionszahl von 1.2 (von 5 Infizierten stecken 4 nur 1; 1 jedoch 2 Gesunde an) wäre das deutsche Gesundheitssystem bereits im Juli wieder überlastet (ohne Massnahmen Reproduktionszahl Covid 2 – 3, zu Beginn der Pandemie 4 – 5!).
Gerne werden meist „nur“ die Sterberaten herangezogen. Dies ist natürlich ein wichtiges Thema, aber kaum wird über schwere Verläufe gesprochen. Das 13 seitige Tagebuch eines betroffenen Kollegen (liegen mir vor, kann auf Anfrage weitergeleitet werden) zeigt: Auch ein Covid-Aufenthalt im Spital bereits ohne Beatmung oder ein schwerer Verlauf zu Hause ist kein Vergnügen und ich persönlich möchte dies nicht durchlaufen müssen!
Auch die Praxen von uns Zahnärzten wurden bisher nicht geschlossen. Jedoch durften wir natürlich nur Notfallmassnahmen durchführen, das hiess 1–2 Patienten pro Woche. Nun wird ab 27. April ein „Smarter Restart“ durchgeführt werden. Was „Smarter Restart“ bedeutet, bzw. wie die Schutzmassnahmen aussehen werden, wurde uns zumindest bis zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrages noch nicht mitgeteilt. Eines dürfte jedoch heute bereits bekannt: Unser Personal und wir sollen mit einfachem OP-Mundschutz arbeiten. Studien würden zeigen, dass so ein einfacher Mundschutz die Ausbreitung bei Erkrankten vermindert und damit als Schutz für das Zahnarztpersonal genüge. Der Fakt ist soweit richtig, jedoch habe ich in meiner Praxis noch keinen Patienten erlebt, welcher während seiner Behandlung einen Mundschutz trägt. Für das Personal und den Behandler bedeutet ein Mundschutz ausserdem keinen Schutz vor Ansteckung, dies können nur FFP2-Masken als Mindestmassnahme gewährleisten. Der Zugang zu FFP2-Masken wird uns Zahnärzten jedoch von offizieller Seite (noch?) verwehrt und die Masken können nicht über die Kantonsapotheke bezogen werden. Bleibt das Internet mit CHF 10–20 pro Stück (!).
Aber es stimmt natürlich … sind wir als Behandler ersteinmal infiziert, werden die Patienten wiederum durch den einfachen Schutz der OP-Maske vor einer Ansteckung durch uns geschützt. Anmerkung: Zahnarzt – Patientenkontakt Distanz 30 cm, mind. 30 min., durchschnittlich 20 Patienten pro Tag, damit im Falle einer unerkannten Infektion des Behandlers Reproduktionszahl 20 (!) – damit ein sogenannter „Superspreader“. Und falls dabei jemanden das Risikoprofil der einzelnen Berufe interessiert, sollte man auch hier mal einen Blick hierauf werfen und vor allem das rechte obere Eck beachten: https://bit.ly/ssaaampblog20420
Was bedeutet nun dieser kurze Exkurs in die Welt der Zahnmedizin für uns alle? Wenn Sie mich fragen – und das haben Sie mit diesem Blog ja getan – die Extreme sind meist nie der richtige Weg: man sollte die Situation nicht überbewerten, aber eben auch nicht unterschätzen und mit einer Grippe vergleichen. Jeder sollte seinen persönlichen Weg finden, um Risiken so weit wie möglich zu minimieren, aber dabei trotzdem langsam in normale Leben zurückfinden. Das gilt auch für die allgemeinmedizinische Praxis. Stärken Sie ihr Immunsystem und das Ihrer Patienten – die SSAAMP steht Ihnen hierbei mit Rat und Tat zur Seite. Vergessen Sie dabei aber nie: Das Spiel ist erst nach dem Abpfiff vorbei …
Bleiben Sie gesund!
Ihr Dr. Jens Tartsch