Funktionelle Medizin

Autor: Dr. Simon Feldhaus
Veröffentlicht: 28. März 2022

Die Funktionelle Medizin ist charakterisiert durch die zentrale Frage nach dem „Warum“ – die Suche nach der sogenannten Root Cause, also dem Ursprung einer Krankheit oder eines Beschwerdebilds.

Warum erkrankt ein Mensch mit seinem individuellen Satz an Genen, mit seiner individuellen Lebens- und Gesundheitsgeschichte und seiner individuellen Lebensumgebung?

Welche Lebensstilfaktoren führen zu diesem Krankheitsbild und in welchem Zusammenhang stehen diese?

Was beeinflusst das Wohlbefinden oder die Chance auf Heilung in positiver oder negativer Weise?

Dabei sieht die Funktionelle Medizin den Körper als grosse Einheit und betrachtet die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Systemen, sie bezieht immer den Menschen als Ganzes in die Betrachtung ein.

Gesundheit oder Krankheit, Letztere im Englischen als «disease» übersetzbar, also dem Nichtwohlsein, sind das Ergebnis vieler unterschiedlicher Komponenten. Nicht nur die Genetik, sondern auch Faktoren wie die Ernährung, psychoemotionale Faktoren, Bewegung, Toxizität u. v. m. spielen eine entscheidende Rolle, ob wir uns wohl oder unwohl fühlen, gesund oder krank sind, energiegeladen oder lethargisch, begeistert oder gestresst unsere täglichen Aufgaben meistern. 

Ein wesentlicher Aspekt der Funktionellen Medizin ist der Ansatz der Epigenetik – unsere Lebensweise und unser Handeln beeinflusst den Ausdruck unserer Gene –; wir entscheiden damit, ob unsere Gene aktiviert werden oder nicht und haben dadurch direkten Einfluss auf alle relevanten Systeme: sei es das Hormon-, das Immun-, das Nervensystem, die Verdauung, der Stoffwechsel oder unsere Fähigkeit zu entgiften! 

Über die heutzutage einwirkenden alltäglichen Belastungen kommen Körper und Zellen auf verschiedenen Ebenen in Mangelzustände und Dysfunktionen, die in chronische Krankheitsprozesse münden können.

Die Funktionelle Medizin bietet einen völlig neuen Ansatz, tiefliegende Ursachen chronischer Erkrankungen zu erkennen und durch ein individuelles Konzept zu lösen. 

In der Praxis geht es um ein auf wissenschaftlichen Grundlagen basierendes Konzept zur Diagnostik, Prävention und Therapie chronischer Erkrankungen.

Wenn wir Gesundheit und Krankheit als die beiden Pole einer Skala betrachten, liegt dazwischen ein Prozess, also ein „funktionelles Geschehen“, das sich in beide Richtungen entwickeln kann.

Jeder Mensch ist mit individuellen Ressourcen ausgestattet (z. B. Genetik, Erfahrung, Resilienz), die es ihm erlauben, Trigger, die sein System stören (Stress, Traumata, Nährstoffmangel, Umweltbelastungen u. v. m.), mehr oder weniger gut zu kompensieren.

Werden Kompensationssysteme erschöpft, kann eine Entwicklung in Richtung Krankheit stattfinden.

In der funktionellen Medizin geht es darum, diese Prozesse zu erkennen und durch entsprechende Behandlungen und Lebensstiländerungen (Ernährungsumstellung, Darmsanierung, Einsatz orthomolekularer Substanzen, Immunmodulation, Bewegung …) wieder in Richtung Selbstregulation und Gesundheit zu führen. Das dabei zugrunde liegende Wissen beruht auf belegbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen. 

Dieses Konzept zielt sowohl auf die Prävention als auch auf die Behandlung, besonders von chronischen Erkrankungen, und beinhaltet diverse Methoden wie:

  • Ernährungsmedizin
  • Orthomolekulare Medizin
  • Mikrobiologische Medizin
  • Phytotherapie
  • Integrative Zahnmedizin
  • Mitochondriale Medizin
  • Epigenetik

Unser Gesundheitszustand ist letztendlich Ergebnis, Summe und Folge aller Funktionen des Mikrokosmos Mensch im Wechselspiel mit dem Makrokosmos Umwelt, in die wir als Menschen hineingestellt sind.

Gesundheit im Sinne der Funktionellen Medizin resultiert aus dem geordneten Zueinander aller körperlichen Funktionen und bedeutet ein Gleichgewicht der Kräfte, welches ständig neu erkämpft werden muss.

Gesundheit und Leben sind also Folgen dynamischer Prozesse, die darauf ausgerichtet sind, sich den stets ändernden inneren und äusseren Verhältnissen anzupassen.

Es ist nicht ausreichend, ein organmedizinisches Denken, etwa durch die Beachtung bestimmter Ernährungsprinzipien, den Einbezug psychosomatischer Zusammenhänge oder des psychosozialen Umfeldes, zu ergänzen.

Im ganzheitlichen Sinn gibt es auch keine eigentlichen Krankheiten, sondern vielmehr ganzheitlich kranke menschliche Wesen.

Im kybernetischen Modell ist Gesundheit somit nicht einfach als Zustand des Wohlbefindens und der Symptomfreiheit zu definieren, sondern als das fortbestehende Vermögen des Organismus, die ständigen Störgrössen von innen und von aussen auszubalancieren. Ziel muss sein, die Ist-Werte im Soll-Bereich zu halten und abgewichene Normwerte in Soll-Bereiche zurückzuführen. Dementsprechend bedeutet Krankheit, die Unfähigkeit zur Kompensation oder zur erfolgreichen Regulation.

Krankheiten können sich entwickeln, wenn übermässige Störgrössen auftreten, z. B. bei Einwirkung von toxischen Elementen, oder wenn die Störgrössen auf blockierte oder funktionsunfähige Regulationsmechanismen stossen. Und Blockaden dieser Systeme wiederum sind möglich über die Einbringung auch von minimalen Mengen körperfremder Substanzen, wenn diese auf hoch empfindliche Regulationssysteme treffen, beispielweise die Wirkungen von Amalgam- oder Kunststofffüllungen im Zahnbereich oder Allergien auf Minimaldosen von irgendwelchen Fremdsubstanzen wie Weichmacher, Mikroplastik oder Nanopartikel.

Viele Patienten leiden unter einer anonymen Apparatemedizin und werden leider oft zu einer statistischen Grösse. Die Ärzte klagen wiederum über Anspruchs- und Konsumhaltung ihrer Patienten, die sich mit Pillen und Ersatzteilen bedienen lassen, statt beispielsweise ihre ungesunde Lebensweise zu ändern.

Medizinstudenten kritisieren das Auswahl- und Ausbildungssystem an den Hochschulen, das eher medizinische Technokraten hervorbringe als von Humanismus und einer hohen Ethik getragene Ärzte. Wir können sozusagen von einem Ärztemangel bei Medizinerschwemme sprechen.

Das Behandeln der Patienten verlangt Kenntnisse einer definierten Behandlungsmethode, welche von den Fachpersonen im Gesundheitssystem in kontrollierten Weiterbildungen erworben wurden. Das Praktizieren dieser Therapien erfordert stetige Weiterbildung und eine Anpassung an die Entwicklung der Behandlungsmethoden. Dies beinhaltet auch die Fortbildungen der SSAAMP, die sich schon immer am Konzept der Funktionellen Medizin orientiert haben.

Ärzte und Zahnärzte, die ganzheitlich arbeiten wollen, sind gefordert, ihre persönliche Erfahrung mit der Evidenz wissenschaftlicher Erkenntnis­se zur Deckung und mit dem Wissensstand der anderen medizinischen Fachrichtungen in Einklang zu bringen. Entscheidungsprozesse und -­kompetenzen müssen nicht nur festgelegt, sondern laufend auch überprüft und bei Bedarf angepasst werden. Um die Qualität ethischen und ärztlichen Handelns nicht zu gefährden, kommt dem Konsens unterschiedlicher Fachgebiete bei interdisziplinär vernetzten Entscheidungsprozessen eine grosse Rolle zu.

Die gewählten Entscheidungsprozesse müssen transparent dokumentiert und kommuniziert werden.

In die Ent­scheidungsprozesse sollten sowohl die notwendigen Fachpersonen als auch vor allem die Patienten und ihr soziales Umfeld eingebunden werden. Dabei ist in der Arzt­-Patienten-­Beziehung besondere Sorge zu tragen. Es muss in jedem Fall sichergestellt sein, dass die Patienten ei­nerseits ihre gesundheitliche Situation verstehen, um Ent­scheidungen mittragen zu können, andererseits aber auch in Bezug auf Bedeutung und Auswirkung von Diagnosen bzw. Therapien durch unsere Fürsorge getragen und in der Entscheidungsfindung nicht alleingelassen werden

So lange primär willkürliche, wenn auch durch Erfahrung geprägte Therapiekombinationen im Alltag mehrheitlich angewendet werden, ist es schwierig, auch eine gezielte Weiterbildung neuer Ärzte oder Therapeuten durchzuführen.

Ziel muss sein, mit Integration erfahrener und breit ausgebildeter Experten ein auf Konsens beruhendes Qualitätsprogramm zu erstellen

Dies war und ist eine wesentliche Aufgabe, die sich die SSAAMP gestellt hat. Daher ist auch im Jahreskongress 2022 der Funktionellen Medizin ein Chapter gewidmet und wir hoffen, damit der Verbreitung dieses Konzeptes helfen zu können.

SSAAMP-Kongress am 11. Juni 2022 / Beitrag
In unserem Chapter «Funktionelle Medizin» am Jahreskongress werden einige dieser wichtigen Faktoren vorgestellt und besprochen. Zum Programm und/oder zur Anmeldung:

www.ssaamp.ch

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